Die vergessenen zwei Bäume

Dann werden Wolf und Lamm friedlich beieinanderwohnen…
Jesaja 11,6

Als ich gestern Abend erst die Tagesthemen sah, dann im Wort zum Sonntag das obige Zitat hörte, fiel mir unwillkürlich der 3. Satz meiner ersten Sinfonie ein. Ich schrieb sie nach der zwei Jahrzehnte dauernden Schaffenspause Ende 2020, sozusagen also ein Frühwerk, das ich heute so nicht mehr komponieren würde, mit Schwächen in Form und Instrumentierung (vor allem im 2. Satz). Ein Chor musste dabei sein, schließlich war ich damals, bis Beginn der musikalischen Pause, viele Jahre Chorleiter, hatte sehr viel für Chor geschrieben. Aber es ging dabei auch um den Charakter der Musik.

Warum fiel mir nun ausgerechnet der 3. Satz ein? Nun, es waren Worte von Abdulaziz Shabakouh, an die ich mich zeitgleich mit der Musik mit dem Chor – dem harmonischen Zusammenklingen von Menschen – bei den Worten vom Wolf und Lamm erinnerte. Er schrieb damals zu diesem 3. Satz: „(…) From despair to a ray of hope.“ – Von der Verzweiflung zum Hoffnungsschimmer. Was damals beim Komponieren Ausdruck individuellen Geschehens war, löste sich überraschenderweise nun aus der eigenen Person und wurde zu einem persönlichen kleinen Hoffnungsschimmer auf Frieden.

Die Kriegsgefahr ist hoch, und sie beschränkt sich nicht auf die Ukraine. Ist den Menschen überhaupt bewusst, was ein Krieg für Europa, ja für die Welt bedeuten würde? Was es für die Menschen, für uns alle, aber auch für die Tiere und die Natur bedeuten würde? Es darf nicht soweit kommen. Man könnte verzweifeln, dass es immer noch Menschen gibt, für die das überhaupt in Betracht kommt. Doch ein kleiner Hoffnungsschimmer ist da. Vielleicht werden die Wölfe sich ja doch noch zu den Lämmern legen, und nicht das Töten, sondern das Leben in den Mittelpunkt stellen.

Ich habe den 3. Satz heute nochmal hervorgekramt und klanglich ein wenig verbessert (soweit es möglich war). Wer Interesse und Geduld hat, sich das anzuhören, möge sich das bitte nicht über den Smartphone-Lautsprecher antun. Zumindest Kopfhörer anstöpseln. Wer diese dann auch aufsetzt, wird etwa in der Mitte des Satzes die Soldaten marschieren hören und das anschließende Inferno wahrnehmen. Die anderen nicht.


#artsforpeace – und vielleicht ist es ja auch etwas für Petra Pawlofskys „Zündstoff Hoffnung“.

47 Gedanken zu „Die vergessenen zwei Bäume

  1. Ich frage mich oft ob der Mensch aus der Vergangenheit nichts gelernt hat.
    Und oft frage ich mich ob wir wirklich so fortschrittlich sind wie wir denken.
    Ich wünsche mir Vernunft, aber in vielen Bereichen.
    Schwere Gedanken die du mit deinen Beitrag hervor holst Stefan.
    Liebe Abendgrüße zu dir,
    Nati 🙂🌠🐾🍀

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    1. Liebe Nati,
      meine Ansicht zu deinen Fragen: Das zeigt die Geschichte eben, dass der Mensch aus Vergangenem nichts lernt. Es wird immer wieder Kriege geben solange Nahrung nicht gleich verteilt ist. Damit meine ich jede Art von Nahrung, und meist oft einfach nur die Grundbedürfnisse, die gestillt werden wollen. Und die Vernunft ist per definitionem „die geistige Fähigkeit des Menschen, Einsichten zu gewinnen, sich ein Urteil zu bilden, die Zusammenhänge und die Ordnung des Wahrgenommenen zu erkennen und sich in seinem Handeln danach zu richten.“
      Da sind so viele variable Komponenten, dass naturgemäß es zu vielen verschiedenen Ansichten kommt und somit auch zu massiven Auseinandersetzungen….
      Alles Liebe dir von Maria

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      1. Ich danke dir für deine Worte Maria.
        Ich weiß dass es utopisch ist, es gibt zu viele Ansichten, Lebensarten, Werte und Co.
        Selbst in einer Familie einer Meinung zu sein, kann ja manches Mal schon schwierig sein.
        Aber letztendlich leben wir alle auf diesen einen Planeten, den wir irgendwann in naher Zukunft zugrunde gerichtet haben.
        Was wären wir für Menschen wenn wir nicht einmal mehr die Hoffnung auf eine friedliche Welt hätten.
        Liebe Abendgrüße zu dir,
        Nati

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      2. Ich bin ein Realist, mehr als andere vielleicht.
        Ich kenne Grausamkeiten und weiß dass es das Gute nicht ohne das Böse geben kann. Egal in welche Bereiche man schaut.
        Aber ich denke positiv und trage die Hoffnung in mir auf ein friedliches Miteinander, denk dass jeder Gutes in sich trägt. Sonst könnte ich mir, in Angesicht all der Grausamkeiten, direkt die Kugel geben.

        Ungeschriebene Gesetze finde ich gut. Ich mag es sehr wenn man Respekt und Anstand besitzt und nicht mit der Axt im Walde herum läuft den man noch nicht kennt. In der Realität wie auch im www.
        Das heißt nicht dass ich weder Spaß noch Scherze mag. Bin sogar für derbe Späße zu haben, aber dafür muss man sich eine Weile kennen. Dann kann man so gar Pferde stehlen.

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  2. Die Spannungsbögen sind gut gesetzt. Am Ende des 3. Satzes klingt alles klar und beruhigend. Der Himmel geht auf! Danke für die musikalische Inspiration, lieber Stefan.
    Zur Zeit könnte man sich fragen, was man mehr fürchtet, Corona oder den Krieg. Putin ist unberechenbar, aber sind es die Amerikaner nicht auch!? Beide stehen sich in Sachen Krieg in nichts nach. Töten von Menschen ist vom Schreibtisch aus einfach. Was ist, wenn Putin mehr will als die Ukraine? Was ist, wenn er Ostdeutschland zurück haben will? Besser rot als tot? Ja, ich weiß, ich sehe schon wieder schwarz. Hier geht es nur um Macht und Geld. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Die Welt braucht Frieden und Freiheit. Einen schönen Abend wünsche ich Dir. LG Gisela

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    1. Vielen Dank, liebe Gisela!
      Die Verflechtungen sind so komplex, und Krieg ist niemals kontrollierbar. Man kann nur hoffen und beten, und selbst ein wenig so leben, dass die Welt ein bisschen gerechter und friedvoller wird.
      Dir auch einen schönen Abend und liebe Grüße an dich!

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  3. Wie naiv muss man denn sein, an sowas jemals zu glauben* – also an diese Vorstellung. Die Evoltution des Menschen ist seinerzeit falsch abgebogen. Dadurch stammen wir in gerader Linie vom Schimpansen ab anstatt vom friedliebeden Bonobo. Genau da liegt der Hund begraben. Das geht mit absolut gar nicht wegzudiskutieren oder sonstwie zu ignorieren.
    *Diese meine Aussage berührt oder verletzt nicht meinen christlichen Glauben.

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  4. Selbst wenn sämtliche Resourcen weltweit gleichmäßig verteilt wären – wie irreal das ist, muss wohl nicht erläutert werden – glaubt Ihr, dass die Menschheit friedlich sich in den Armen und vor Gück weint? Nein, es wird welche gegen, die mehr als andere haben wollen, die sie dominieren wollen. Und dazu ist jedes Mittel recht. Kain und abel haben’s exemplarisch demonstriert. Es gibt nicht zu lernen. Frieden und Friede halten ist reine Kopfsache, hängt von der Überzegung zum Besseren ab, muss gelernt werden, ist eine rein intellektuelle Leistung von Zivilisation und Kultur(en). Alles Andere ist animalisch, ist erzprimitiv; so wie Krieg zum Beispiel. Diese Erkenntnis ist jedoch nutzlos weil s.o. ….

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    1. Dem ersten Teil stimme ich als Einschätzung der mittelfristigen Realität zu. Realitäten feststellen und beginnen sie zu ändern sind allerdings zwei Paar Schuhe.
      Der zweite Teil ist nur ein Teil des Weges. Mitgefühl z.B. ist trainierbar und hemmt Aggression. Aber eine detaillierte Diskussion wollte ich mit meinem Beitrag gar nicht entfachen (aber will sie auch nicht verhindern; möchte da nur nicht tiefer mit einsteigen).
      Danke für deine Gedanken!

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      1. Frech? Keine Ahnung. Alles gut. Bin nicht so empfindlich. Ich versuche es jedenfalls immer wieder. Manchmal gelingt es. Es gibt in den Blog-Gruppen oft ungeschriebene strenge Gesetze, und „gern“ ist man rasch beleidigt, anstatt zu diskutieren. Kindisch sowas, gell?

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      1. https://de.wikipedia.org/wiki/Bodhisattva
        „Kern der Bodhisattva-Philosophie ist der Gedanke, nicht nur selbst und allein für sich Erleuchtung zu erlangen und damit in das Nirwana einzugehen, sondern stattdessen zuvor allen anderen Wesenheiten zu helfen, sich ebenfalls aus dem endlosen Kreislauf der Reinkarnationen (Samsara) zu befreien.“ (ebd).
        https://de.wikipedia.org/wiki/Gr%C3%BCne_Tara
        „Die nepalesischen Prinzessin Bhrikuti, (….),wurde der Legende nach aus den Tränen des Mitgefühls von Avalokiteshvara geboren (…)
        Einer anderen Legende nach hat die grüne Tara vor vielen Zeitaltern als Prinzessin Jnanachandra viele Verdienste erlangt. Mönche, die dies erkannten, drängten die Prinzessin dazu, um eine Wiedergeburt als Mann zu bitten, damit sie so die volle Erleuchtung erlangen könne. Die Prinzessin lehnte dies aber ab, bezeichnete die Unterschiede zwischen den Geschlechtern als Trugbild und legte das Gelübde ab, bis zur Befreiung aller Wesen fortan in einem weiblichen Körper zu wirken.“ (ebd)
        Wenn es eine Idee von Bodhisattven (oder sattvas?) gibt, existiert auch die Möglichkeit ihrer so genannten „Wirklichkeit“ (wenn man das „wirklich“ trennen WILL 🙂 ….).
        Mir persönlich gefällt die Idee (und die faktische Existenz) mitfühlender Wesen, die eigentlich schon längst erleuchtet sind, aber auf das Nirvana verzichten, bis eben aller Wesen aufgestiegen sind, sehr gut. Ist halt eine echt lange Angelegenheit und der Zeitrahmen sprengt vermutlich die menschliche Vorstellungskraft …. ganz herzliche Grüße aus Wien

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  5. Das ist ein vielschichtiges Wechselbad, das du da erklingen lässt. Mir gefällt das sehr, dass hier nicht einfach eine Spannung aufgebaut wird, die sich entlädt – und dann löst sich alles in Wohlgefallen auf. Hier spürt man, dass es sehr unterschiedliche Ingredienzen sind, die zu einer wachsenden Spannung führen. In der zweiten Hälfte des Satzes machen sich zwar früh optimistische Stimmungen bemerkbar. Aber es ist nicht „alles wieder gut“ – gegen Ende scheint sogar ein alter Schmerz seine lähmende Wirkung zu entfalten. Das eigentliche Hoffnungssignal höre ich im viertletzten Takt in der Harfe. Eigentlich fast so etwas wie ein „unruhestifterisches“ Motiv, das bereits früh im Satz auftaucht. Und das könnte Argwohn erwecken: fängt jetzt die Harfe auch noch damit an? Aber es wird gleichsam auf eine neue Ebene gehoben. Als würde die Harfe sagen: schaut mal, nicht „das Problem“ ist das Problem, sondern die Art, wie man bisher damit umgegangen ist…

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  6. Wieder einmal ein „puhhh“… Du greifst offtopic zurück auf den Ausdruck des individuellen Geschehens damals. Ich bin etwas sprachlos, wie du (im positiven Sinne) Vergangenheit und Gegenwart verknüpfst und etwas aussagst, allein anhand der Musik erschlossen. Entweder bist du extrem feinfühlig, oder ein musikalisch zutiefst begabter Psychologe, oder beides. In der Tat war damals „viel los“, und ich hatte nicht die Kompetenz, damit umzugehen. Aber vielleicht meinst du ja doch ontoppic das politische Geschehen und ich unterliege einem egozentrischem Irrtum. So oder so: Meinen ganz tiefen Dank an dich, für dein tiefes Hören, für dein Fühlen und deine Worte. ❤️

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    1. Zum politischen Geschehen hätte ich nicht wirklich etwas G’scheites beizutragen. Da könnte ich höchstens nach dem Motto „es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen“ (Karl Valentin) meine Ansichten beisteuern. 😉
      Für mich geht es tatsächlich darum, in einigen Sätzen auszudrücken, welche Geschichte mir die Musik erzählt. Resonanz, schlicht und „einfach.“ 😀 Wobei etwas ganz Persönliches durch die Ausdrucksform der Musik ja sozusagen auf eine eher universale Ebene gehoben wird, so dass es letztlich zu verschiedenen persönlichen oder gesellschaftlichen Situationen passen kann. 🙂

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  7. Es tut mir wirklich leid, aber diese Musik hat mir innerhalb von zehn Sekunden Herzbeschwerden und Beklemmung verursacht. Und wenn ich dann das Gelärme nicht sofort abstelle, wächst unverhohlene Aggression in mir. DAS kann für mir nicht die Funktion ind Aufgabe von Musik sein. Der bereits zitierte Karl Valentin hätte es vermutlich als eine „Übertragung aus der Hölle“ charakterisiert. Sorry, ich kann nicht anders.

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  8. Lieber Stefan, schade, dass ich jetzt erst deinen Beitrag besuche und zum Anhören der Musik gekommen bin! Die ganze Zeit habe ich jetzt gedacht, ob das nicht doch etwas für das Projekt wär und dann sah ich deine Frage . Nur seltsam, dass ich keine Nachricht vom Pingback bekommen habe! Besonders schön ist es, dass diese Musik zum Schluss die Dunkelheit auflöst und der Hoffnung Platz macht, wenn sie die Hoffnung einen Moment nicht sogar erfüllt.
    Natürlich ist sie ein superber Aus-Klang des Projekts im wahren Sinne des Wortes ! Es geht ja jetzt zu Ende und ich bin da schon am Vorbereiten einer Zusammenfassung.
    Hier bei deiner Musik habe ich gleich von Anfang an und öfters noch den Eindruck, dass du Bruckner aufnimmst und etwas Neues und Eigenes draus machst.. Ganz herzlichen Dank und liebe Grüße, Petra

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