Die vergessenen Leben

Ostern.

Heute besuchte ich eine KZ-Gedenkstätte. Meine Hündin Haily zeigte sich sehr lebhaft, wie sonst auch bei unseren vielen Spaziergängen über den großen örtlichen Friedhof. Seit mein Vater 1986 verstarb, begleitet mich das Thema Tod intensiv. Ich weiß nicht warum. Das Grab meines Vaters ist mittlerweile aufgelöst. Nun ist immer wieder das Grab meiner ehemaligen „Stieftochter“ erster Anlaufpunkt. Sie starb letztes Jahr im Alter von 27 Jahren.* Oft gehe ich an den Kriegsgräbern vorbei, oder bei den Regenbogenkindern. Oder bei den Gräbern so vieler Menschen, die ich kannte. Immer lese ich die Namen auf den Grabsteinen, die Daten, die Sprüche, die man ihnen mitgab. Auch auf Reisen besuche ich gerne Friedhöfe. Meine Musik kreist oft um das Thema Tod. Und in den Videos, die ich zu meiner Musik mache, sind nicht selten Friedhöfe zu sehen.

Vor meinem eigenen Tod habe ich weit weniger Angst als vor dem Tod derer, die mir am Herzen liegen.
Leben ist so fragil.

Auferstehung? Ein Wort mit Fragezeichen.

Vor den Resten der Küchenbaracke des KZ blühen drei Osterglocken.

Friedhöfe sind Orte des Lebens. Alte Bäume stehen dort, in denen Vögel nisten. Unzählige Blumen blühen. Igel, Kaninchen und Eichhörnchen sind hier zu Hause. Ich fühle mich dort wohl.

Wenn das allerdings mit dem Klimawandel so weitergeht, sieht das irgendwann sicher anders aus. 😁

_____________________

*Zwei Tage nach ihrem Tod schrieb ich ein Stück für sie. Es hat wohl niemand die Widmung bemerkt (außer einem vielleicht).

17 Gedanken zu „Die vergessenen Leben

    1. Klassische Gräber gibt es auch hier immer weniger (dafür mehr Urnenfelder). Aber es sind sehr engagierte Gärtner beschäftigt, die den Friedhof zu einem vielfältigen Park umgestalten.
      Danke für deine Worte und liebe Grüße!

      Gefällt 1 Person

    1. Ich mag Friedhöfe auch und meine erste Erinnerung ist, wie ich an der Hand meiner Oma vor einem kleinen Gräbchen stehe. Meine Oma ganz still und ich auch.
      Später begriff ich es. Es war das kleine Grab ihrer jüngsten Tochter, die mit 7 Jahren an Diphterie gestorben war. Zwei Jahre später kam ich zur Welt und bekam ihren Vornamen…

    2. Spiel mir das Lied vom Tod, das denke ich schon bei den allerersten stillen Tönen, die ich höre.

    3. Drei Osterglocken trauen sich, an diesem Ort zu blühen. Sie sind mutig, lieber Stefan.

    Gefällt 1 Person

    1. Der Verlust eines Kindes gehört sicher oft zu den schlimmsten Verlusten. Ich könnte mir vorstellen, dass deine Oma dich besonders ins Herz geschlossen hat. ❤️

      Als ich Rons Klavierstück hörte, dachte ich sofort an Ennio Morricone. Ron ließ mich gewähren. 😅

      Vielleicht hat Erblühen manchmal mit Nichtwissen zu tun, oder mit Vergessen… Doch vielleicht blühen sie ja tatsächlich gegen den menschlichen Wahn an. 🌹

      Danke, liebe Bruni.

      Gefällt 1 Person

  1. Lieber Stefan, ich war hier schon lange nicht mehr auf einem Friedhof und hoffe auch, dass das noch eine ganze Weile so bleibt. Ohne Anlass gehe ich eigentlich nur im Urlaub in fernen Ländern auf Friedhöfe und der schönste, den ich bislang sah, ist in Lissabon. Er heißt ‚Cemitério dos Prazeres‘, was übersetzt Friedhof des Vergnügens heißt. Der Name rührt daher, dass sich vor der Anlage des Friedhofs in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts an dieser Stelle ein Park oder eine Wiese befand, die von den Bewohnern zur Erholung, also zum Vergnügen, genutzt wurde.
    Und das macht sich aufgrund der wundervollen Lage zudem wirklich bemerkbar.
    Hier in Deutschland bin ich lediglich von den jüdischen Friedhöfen begeistert. Die dauerhafte Totenruhe gilt dort als verbindlich und steht einer begrenzten Ruhefrist entgegen. Außerdem legen die Trauernden dort statt Blumen in der Regel Steine auf den Grabstein.
    Frohe Ostern und liebe Grüße Bea

    Gefällt 1 Person

    1. „Friedhof des Vergnügens“ – das klingt irgendwie schön (solange man es nicht so versteht, dass das Vergnügen hier beerdigt wird 🙃). Aber natürlich gibt es auf Friedhöfen auch dunkle Gedanken. Heute Nachmittag entdeckte ich zufällig das Grab von jemandem, den ich in meiner Jugend kannte. Er hatte sich damals mit 18 Jahren erhängt…
      Meinen ersten jüdischen Friedhof habe ich in Prag erlebt (welch Wortwahl). Diese Orte faszinieren auf eigene Weise.
      Ganz lieben Dank für deine Worte und Gedanken, liebe Bea. 🙏 Frohe Ostern und liebe Grüße auch für dich!

      Gefällt 1 Person

  2. Mir gefällt diese originelle Instrumentierung. Vor allem aber finde ich es berührend, wie diese Klänge für mein Empfinden beides ausdrücken: die unbeschreibliche Leichtigkeit einer der irdischen Schwere entbundenen Seele und den Schmerz derer, die naturgemäß den Schmerz eines unwiederbringlichen Verlustes erleben. Selbst wenn man Gründe hat froh zu sein, weil der Tod eine Erlösung bedeutet, fühlt es sich für die Hinterbliebenen ja nicht froh an…

    Herzliche Grüße an dich zum lichtvollen Sonntagabend 🐻

    Gefällt 1 Person

  3. Lieber Stefan, Deine würdigen Klänge tauchen diesen ‚verlassenen‘ Ort in eine verbindende Harmonie der Erinnerung. Ich liebe Friedhöfe ebenso wie Du, suchte schon in jungen Jahren die Stille des Ortes, wenn ich den Kinderwagen durch die altverwachsenen Wege schob. Dort schien alles unberührt. Die üppige Natur, Vögel und Eichhörnchen, die wenigen Menschen, denen ich begegnete, segneten diesen Ort mit Leben und einem andächtigen In-sich-gekehrt-sein. Die vielen Namen auf den Grabsteinen aber auch die vielen namenlosen Gräber unter den hohen Bäumen hatten meine Aufmerksamkeit. Viele davon kannte ich lebend. Jeder Besuch war ein erneutes Abschiednehmen. Die Überreste meines jüngsten Sohnes wurden von einem Förster in einem Friedwald in Venlo bestattet. Ich war niemals dort, weil es mein Gesundheitszustand nicht zulässt. Auf Friedhöfen liegt die Vergänglichkeit. Nur das Bild der Erinnerung und die Liebe trägt man im Herzen. Sie bleiben in der Seele erhalten. In Gedanken bin ich oft bei meinem Sohn.
    Ich war vor Jahrzehnten im ehemaligen KZ Buchenwald. Dort habe ich eine Schwingung erfahren, die mir den Atem nahm. Das war ein Ort des Grauens und des Todes! Die drei Narzissen zeigen, dass die Natur alles wiederbeleben wird, um jeden noch so elenden Ort in das Grün der Hoffnung zu kleiden.

    Danke für Deinen Beitrag, lieber Stefan. Genieße den Ostermontag mit Deiner kleinen Hundeseele. Liebe Grüße, Gisela 🐣🐥🐤

    Gefällt 1 Person

    1. Dann geht uns ja recht ähnlich, liebe Gisela. Es muss schwer für Dich sein, die Ruhestätte Deines Sohnes nicht besuchen zu können. Ich finde es schön, dass er in einem Friedwald ruht. Solche Orte habe ich auch einige Male besucht. Ihre Atmosphäre empfand ich als still, friedlich und beschützend. Das Leben sucht sich seinen Weg, auch an den dunkelsten Orten…

      Ganz lieben Dank für Deine Worte, liebe Gisela. Auch Dir einen schönen Ostermontag und ganz liebe Grüße an Dich. 🙂🐾

      Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar